Gesundheit der Katze - FibrosarkomeFibrosarkome bei Katzen am Injektionsort - eine StellungsnahmeProf. Marian C. HorzinekAus der Universität Utrecht, Niederlande Anläßlich einer Veranstaltung der DVG stellte ich kürzlich die Frage, wer in der Zuhörerschaft schon einmal ein Fibrosarkom bei einer Katze an der Injektionsstelle eines Impfstoffs diagnostiziert habe. Etwa vier Fünftel der Anwesenden gaben das Handzeichen; das ist überraschend und führt zu den folgenden Überlegungen: Nach Auskunft der Bayer Vital, GB Tiergesundheit, gab es im Jahr 2000 in der Bundesrepublik 6,8 Millionen Katzen (eine Zunahme von 4,6 % gegenüber dem Vorjahr). Die Schätzung bezieht sich auf die potenziellen Patienten einer tierärztlichen Praxis, nicht auf herrenlose Freiläufer, also auch auf potenzielle Impflinge. Geht man von der konservativsten veröffentlichten Schätzung der Inzidenz von Fibrosarkomen am Injektionsort aus (1 Fall auf 10.000 Impflinge), und von einem jährlichen Tierarztbesuch von 50 % (abgeleitet von der jährlichen Impfroutine), dann sollten in jenem Jahr mehr als 300 Fälle zur Beobachtung gekommen sein. In den etwa 3.000 Kleintierpraxen in der Bundesrepublik sollte folglich in einer zehnjährigen Beobachtungszeit (seit der Erstbeschreibung der Impfsarkome [HENDRICK und GOLDSCHMIDT, 1991; HENDRICK et. al., 1992]) eigentlich jeder Praktiker einmal einen Fall zu Gesicht bekommen haben. Zwar gab es in den vorangegangenen Jahren weniger Katzen, nicht jede Praxis ist gleich groß, läuft gleich lange, hat einen gleichgroßen Anteil feliner Patienten etc. andererseits aber ist die Stichprobe (Tagungsteilnehmer) nicht randomisiert und wie noch zu erörtern sein wird führen nicht nur Impfungen zu Sarkomen an Injektionsstellen. Ich hatte erwartet, dass jeder Tierarzt im Auditorium Fibrosarkome gesehen haben müsste; dem war aber nicht so. Zehn Jahre nach den ersten Beobachtungen ist die Aetiologie von Fibrosarkomen bei Katzen am Injektionsort von Impfstoffen ( Vaxosarkome") noch immer Gegenstand von Kontroversen, übrigens eher in den Vereinigten Staaten als in der Bundesrepublik. Dies gilt vor allem für die Aetiologie der Sarkome und die angenommene Zunahme der Fälle bzw. Fallberichte. In den USA hatte man dem iatrogenen Aspekt der Erkrankung große Aufmerksamkeit geschenkt, und es lässt sich vermuten, dass dabei die niedrige Hemmschwelle zu Haftpflicht- und Schadenersatzklagen eine größere Rolle spielt als hierzulande. Jedenfalls wurde die Häufung als alarmierend erfahren und eine task force" zur Untersuchung der Erkrankung ins Leben gerufen (www.avma.org/vafstf/default.asp). Auch in Europa wurde das Thema aufgegriffen. Es ist zwar unbefriedigend, wenn man nach Sichtung der Literatur zu dem Schluss gelangt, dass die Aetiologie des Fibrosarkoms noch immer ungeklärt ist es ist aber keineswegs unerwartet. Ganz im Gegenteil man kann vorhersagen, dass es eine einheitliche Aetiologie auch nicht gibt. Man mag sich der Aussage des Altmeisters der deutschen Onkologie, Arnold Graffl, erinnern, der schon in den Sechzigerjahren formulierte, der Exklusivitätsanspruch jeder Krebsentstehungstheorie sei ihr Hauptfehler. Was die Untersuchungen bisher tatsächlich erbrachten, ist der Ausschluss einiger Faktoren als einziger Ursache (BAKER, 1998), wie des Aluminiumhydroxyds oder der Antigene des Leukämievirus. Besondere Bedeutung kommt der Nuancierung der Vaccine-Associated Fibrosarcoma Task Force (VASTIF) in den USA zu, wenn sie heute von injection-associated" spricht, und nicht mehr von vaccine-associated" (ANONYMOUS, 1998). Zu den injizierbaren Präparaten, die keine Impfstoffe sind, zählen etwa das Dexamethason, das Amoxicillin, sogar ein Langzeit-Flohmittel, wie eine kürzlich erschienene Veröffentlichung zeigt (ESPLIN, 1999). Das Veterinary Practitioners Raporting (VPR) Program der US Pharmacopeia bietet Praktikern die Möglichkeit, ihre Beobachtungen zentral registrieren und auswerten zu lassen. In einer Mitteilung über 243 Vakzinen, die an der Entstehung von Sarkomen bei 169 Katzen beteiligt gewesen sein mögen, waren 100 gegen Tollwut gerichtet (41 %), 79 gegen Schnupfen (33 %), 49 waren FeLV-Impfstoffe (20 %) und 15 waren Kombinationsvakzinen (E. Kathryn Meyer; Vaccine-Associated Feline Sarcomas: A Summary of USP Data; presented before the Veterinary Cancer Society, October 6, 1998 Estes Park, CO). Wider Erwarten spielen mithin Leukämiepräparate nicht die Hauptrolle. Weiterhin ist die Beobachtung interessant, dass in Europa anscheinend weniger Impfsarkome beobachtet werden als in den USA, wo die Inzidenz auf 0,18 % geschätzt wurde (LESTER et. al., 1996), also einen Fall auf etwa 770 Impflinge. Eine kürzlich von der British Small Animal Veterinary Association (BSAVA) durchgeführte Studie (TENNANT, 2000) betont, dass Fibrosarkome an Injektionsstellen in Großbritannien eher selten sind und dass eine ursächliche Zuordnung nicht eindeutig gelingt. Bezieht man den Marktanteil von Impfstoffen in die Betrachtungen mit ein, so zeigt sich, dass kein Hersteller öfter genannt wird als seine Konkurrenten. Die Fragebogenaktion ergab überdies, dass den Katzen auch andere Präparate injiziert worden waren, was das Bild noch unschärfer macht. Die genetische Prädisposition bestimmter Rassen kam ebenfalls zur Sprache. Schließlich machte eine retrospektive epidemiologische Untersuchung in Frankreich deutlich, dass die Lokalisierung von Fibrosarkomen zwar signifikant mit Injektionsstellen korreliert ist, dass dies aber auch gilt, wenn kein Impfstoff, sondern etwas anderes injiziert worden war (ANONYMOUS, 1999). Diesen Schluss hatten Doliger und Devauchelle schon eher gezogen: nicht nur Injektionen von Impfstoffen, sondern Injektionen schlechthin können bei manchen Katzen zur Ausbildung von Fibrosarkomen führen (DOLIGER und DEVAUCHELLE, 1998). Es ist wahrscheinlich nicht das Trauma, sondern eher die Reaktion des Gewebes am Injektionsort auf einen chemischen Reiz hin, die zum Tumor führen kann. Ein territoriumsverteidigender Carnivore wie die Katze hätte in der Evolution keine Chance, wenn Bissverletzungen mit der genannten Häufigkeit Tumoren auslösen könnten. Fibrosarkome am Injektionsort chemischer Verbindungen findet man in der Literatur häufig beschrieben, wobei es sich nicht nur um bekanntermaßen oncogene Substanzen handelt (wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Nitrosamine, Aflatoxin), sondern auch um Verbindungen wie (etwa bei Labornagern) Gold-Natriumthiomalat, Nickel-Subsulfid, Cadmium. Es fällt auf, dass bei Caniden deren Impfhistorie weiter zurückreicht als die der Katze in der Literatur keine Berichte über Impftumoren zu finden sind. Das gilt jedoch nicht generell für Carnivoren: bei Mustelliden (Frettchen) wurde ein Fall beschrieben (MURRAY, 1998). Für den Tierarzt beginnen sich einige Leitprinzipien abzuzeichnen. Wenn eine chronische oder wiederholte örtliche Reizung am onkogenen Geschehen die Schuld trägt, was wir annehmen dürfen, so sollte man über die Injektionsstellen Buch führen und wiederholte Einspritzungen an derselben Stelle vermeiden. Vor allem sollte die schulmäßig empfohlene Injektion ins Nackenfell oder zwischen die Schulterblätter unterlassen werden. Die VAFSTF hatte angeregt, Tollwutimpfstoffe (rabies) rechts, Leukosepräparate (leukemia) links zu injizieren, in die Hinterläufe, und zwar so distal wie möglich. Sollte sich ein Tumor entwickeln, dann könnte eine lebensrettende Amputation der Gliedmaße vorgenommen werden. Nach einigen Jahren sollte sich herausgestellt haben, welcher der beiden Impfstoffe am meisten zum Risiko beiträgt. Die Antwort auf diese Frage steht noch aus. Die Empfehlung selbst hatte jedoch eine große psychologische Wirkung: man begann das Impfrisiko ernst zu nehmen, ohne es indessen als Injektionsrisiko zu erkennen. Risikos lassen sich quantifizieren nur erhalten eben seltene Ereignisse mehr Publizität als häufige. Jeder Absturz einer Boeing steht auf Titelseiten der Tageszeitungen, dass aber täglich in den USA allein die Passagierzahl von drei Boeingabstürzen an den direkten Folgen des Rauchens sterben, bleibt unerwähnt (PAULOS, 1988). In unserem Falle leidet die Risikoabwägung unter demselben Manko: Fibrosarkome sind selten und ziehen das Scheinwerferlicht auf sich, Virusinfektionen (trotz oder ohne Impfung) sind häufiger. Die Wirksamkeit von Impfstoffen andererseits lässt sich bestimmen, die meisten schützen bei sachkundiger Applikation 70 % und mehr der Impflinge (und das genügend, um Epidemien zu verhüten). Die von SCHULTZ, (1999), CARMICHAEL, (1999) und auch von mir (HORZINEK, 1999) in den letzten Jahren immer wieder vorgetragenen Bedenken gegen die alljährliche Wiederimpfung der gesamten Patientenschaft einer Praxis ohne immunologische oder epidemiologische Indikation darf nicht in einen Impfpessimismus ausarten. Die tierunfreundliche, um nicht zu sagen zynische non-vaccination policy der Europäischen Gemeinschaft (Maul- und Klauenseuche, Schweinepest) mag dazu beigetragen haben, dass mancher denkt, ohne Impfschutz auskommen zu können. Nicht nur Laien, auch Tierärzte. Ich möchte dieser Tendenz entschieden entgegentreten: die Impfung ist noch immer die wirksamste Maßnahme zur Beherrschung viraler Infektionskrankheiten, die meisten Impfstoffe sind wirksam und verträglich, und die Impfberatung und -entscheidung tragen wesentlich zur Bindung der Klientel an eine Praxis bei. Und was die Quantifizierung des Risikos betrifft: wenn bei gesunden Katzen inzwischen dank der Diagnostik und Vakzinierung in manchen Kollektiven nur noch eine von 50 virämisch und damit Infektionsquelle ist (etwa in der Schweiz; HANS LUTZ, persönliche Mitteilung), dann ist das Infektions- und Erkrankungsrisiko immer noch um eine Größenordnung höher als das Sarkomrisiko. Zusammenfassend kann festgehalten werden:Die Aetiologie und Pathogenese von Fibrosarkomen ist nicht geklärt, sie ist multifaktoriell und komplexer als ursprünglich vermutet. Nicht nur Impfstoffe, auch andere injizierbare Substanzen können zu Fibrosarkomen führen und sollten tierärztlich beachtet werden. Das Fibrosarkomrisiko nach Impfung ist klein, aber nicht zu vernachlässigen; eine tierärztliche Risikoabwägung ist daher wichtiger denn je. Die Infektionsgefahr ist in den meisten Fällen (ganz sicher in Pensionen und Tierheimen) höher als das Sarkomrisiko. |
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